Fragerei

Ich sitze in der S-Bahn. Hinter mir unterhält sich eine weiße Frau mit zwei schwarzen Kindern (Junge und Mädchen, ungefähr sechs bis sieben Jahre alt). Sie fragt, freundlich, aber beharrlich, alles Mögliche. Besonders interessiert ist sie an der Herkunft der Kinder. Während die Kinder miteinander über irgendein seltsames Tier sprechen, unterbricht die Dame mehrmals mit ihren Fragen: Und wo kommt ihr her? Kommt ihr aus Afrika? Da die beiden Kinder perfekt Deutsch sprechen, scheint mir die Neugier erst recht unangemessen zu sein. Die Kinder erzählen aber dann gerne, dass sie in den USA geboren sind. Das scheint trotzdem nicht zu genügen, und die Dame fragt nach der Herkunft ihrer Eltern weiter. Sie seien Afrikaner, sagen die Kleinen. Ach so, ruft die Frau aus, als hätte sie endlich ein wichtiges Ziel erreicht, und woher in Afrika? Die Kinder scheinen nun ratlos. Afrika-Afrika, erklären sie. Ja klar, aber woher genau? Kenia? Namibia? Äthiopien? Die Kinder überlegen ein paar Sekunden, dann sagt das Mädchen entschlossen: Ja, meine Mutter kommt aus Äthiopien! Die Reaktion lässt nicht auf sich warten. Ach, Äthiopien ist ein sehr armes Land, seufzt die Dame voller Mitgefühl.

Mir wird es jetzt zu viel. Ich stehe auf, möchte der Frau mitteilen, dass Äthiopien mehr als nur ein sehr armes Land sei und dass sie am besten aufhören solle, die zwei Kinder mit ihrer blöden Fragerei zu belästigen. Dann bleibe ich aber stumm. Die Kinder sind nicht allein. Die Mutter ist auch dabei und sieht gar nicht verärgert aus. Ich frage mich erstaunt, wie sie das alles nur aushalten kann. Beim Aussteigen scheint die Familie dennoch so amüsiert, dass ich mich überzeuge, sie sind an solche Ereignisse so gewöhnt, dass sie die vielleicht als nicht so störend erleben; oder doch, aber sie haben vielleicht die ganze Herkunftsgeschichte extra erfunden, um aus der Belästigung einen Spaß zu machen. Und die Kinder wissen bestimmt selbst schon bescheid, dass Äthiopien viel mehr als nur ein sehr armes Land ist.